11. Juli 2022

Experteninterview: Im Urlaub campen – nur ein vergänglicher Trend?

Heute Abend am 11.07.2022 startet die dritte Folge der zweiten Staffel „Bella Italia – Camping auf Deutsch“ um 20:15 Uhr. Ziemlich sicher ist jeder bereits mit Camping in irgendeiner Weise in Verbindung gekommen. Viele Familien fahren klassisch mit einem Campingwagen gemeinsam in den Urlaub, manche zelten mit den Kindern im eigenen Garten und wiederum andere verbinden Luxus mit Camping – Glamping. 

Was genau macht eigentlich den Reiz dieser Urlaubsform aus? Und welche Entwicklungen hat Camping in den letzten Jahrzehnten vollzogen? Dazu haben wir den Dozenten PD Dr. Philipp Namberger befragt. Er ist Tourismusgeograph an der Ludwig-Maximilian-Universität München und beschäftigt sich ausgiebig mit unterschiedlichen Formen des Tourismus und den Reisegewohnheiten.

<b>PD Dr. Philipp Namberger</b>
PD Dr. Philipp Namberger

Camping galt in den 80er und 90er Jahren oftmals als verpönt. Woran lag das und wie konnte sich das Image zum Trendurlaub wandeln?

Es hat sich ja nicht nur das Image, sondern auch die Art des Campens gewandelt. Der größte Unterschied ist aber wohl die Tatsache, dass Camping mittlerweile kein Billigurlaub mehr ist bzw. als solcher wahrgenommen wird. So haben mittlerweile ganz neue Schichten der Gesellschaft Camping für sich entdeckt.

Nichtsdestotrotz sehen wir auch heute noch bedeutende Unterschiede in der Wahrnehmung von Campingformen wie z. B. Dauercamping, Wintercamping, Camping mit Wohnwagen vs. Reisemobil, Camping mit Dachzelt, Glamping usw., die nicht nur, aber eben auch auf die Exklusivität bzw. letzten Endes den Preis des Campens zurückzuführen sind.

Warum hat Camping so einen Aufschwung erfahren und hält sich dieser Trend auch langfristig?

Der Aufschwung in der Camping-Branche – die neben dem Urlaub im Zelt verschiedenste Formen der Übernachtung wie z. B. im Wohnwagen, Reisemobil oder Kleinbus beinhaltet – lässt sich u. a. mit Push- und Pull-Faktoren erklären. Push-Faktoren beschreiben dabei z. B. die Flucht aus dem Alltag, raus aus der Stadt, dem Stress entfliehen, während die Pull-Faktoren Aspekte beinhalten, die anziehend auf einen wirken, z. B. das hautnahe Erleben der Natur, die Einfachheit, das Gefühl von Unabhängigkeit, Abenteuer, Spaß.

Diese grundlegenden Bedürfnisse, die auch als eine Antwort auf die Hektik des Alltags und den zunehmenden Stress im Berufsleben zu sehen sind und die der Camping-Tourismus (mutmaßlich) befriedigt, spielen sicher auch mittel- und langfristig eine Rolle. 

Micha
Micha und Jacky aus "Bella Italia" 

Gab es auch einen coronabedingten Camping-Boom in Deutschland?

Die COVID-19-Pandemie hatte einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf den Camping-Tourismus, was an zahlreichen Statistiken ablesen ist: So ist z. B. laut dem Caravaning Industrie-Verband e.V. die Anzahl der Neuzulassungen von Reisemobilen in Deutschland in Zeiten von Corona, genauer gesagt von der Saison 2019/2020 (Juni-Mai) auf die Saison 2020/2021 (Juni-Mai), sprunghaft um ca. 59 % auf insgesamt 86.702 Neuzulassungen angestiegen.
Andere Statistiken wie z. B. die Anzahl der Übernachtungen von Gästen auf deutschen Campingplätzen zeigen von 2019 auf 2020 zwar einen leichten Rückgang, was allerdings mit der coronabedingt rückläufigen Anzahl der geöffneten Campingplätze bzw. der angebotenen Stellplätze auf Campingplätzen erklärt werden kann.
Im Vergleich zu anderen Beherbergungsformen wie z. B. dem Hotel ist dieser Rückgang vergleichsweise gering, was die Beherbergungsform Camping anteilig wachsen lässt und sie zu einem „relativen Gewinner“ der Corona-Pandemie macht. Allgemein lässt sich die zunehmende Bedeutung des Campingurlaubs in Zeiten von Corona damit begründen, dass Alternativen wie z. B. die Übernachtung im Hotel zeitweise schlichtweg nicht möglich waren und Camping wiederum als besonders sicher gilt.  

Europas größter Campingplatz ist ein besonderer Kosmos.. In der ersten Episode rücken Nicole und Sascha Fingerhuth mit drei befreundeten Paaren an.
Ausschnitt aus "Bella Italia"

Welche Bedeutung hat Camping für die Gesellschaft?

Viele Camperinnen und Camper haben das Gefühl, aufgrund von Faktoren wie technologischen Ablenkungen, fehlender Zeit und Gelegenheit zu Hause nicht die Beziehungen führen zu können, die sie sich mit Familie und Freunden wünschen. Campen gibt ihnen dabei die Möglichkeit, Abstand vom Alltag zu gewinnen und so ihre Beziehungen und sozialen Kontakte unbeschwerter zu pflegen. Darüber hinaus berichten zahlreiche Camperinnen und Camper, dass sie beim Campen zu sich finden bzw. ihr wahres Selbst entdecken.

Des Weiteren trägt das Leben in der Natur zur Entschleunigung bei und hilft, die nötige Kraft für den Alltag v. a. in der Stadt zu tanken. All diese Aspekte bzw. wahrgenommenen Möglichkeiten beim Camping haben in Zeiten von Krisen wie der anhaltenden COVID-19-Pandemie sicherlich einen Anteil am Erfolg des Camping-Tourismus.

Auch in der medialen Berichterstattung findet das Thema regelmäßig statt – die Frage nach Henne oder Ei also: Lösen die Medien den Trend mit aus oder führt der Trend zu einer erheblichen Berichterstattung?

Die Frage ist berechtigt, und es lassen sich sicherlich Beispiele für beide Sichtweisen anführen. Ich gehe allerdings davon aus, dass der Campingtrend eher angebotsseitig der Initiative der touristischen Leistungsträger (z. B. Campingplätze, Camping-Ausrüster, der allg. Outdoor-Markt) sowie nachfrageseitig den Wünschen und Bedürfnissen der (potenziellen) Camperinnen und Campern folgt.
Es ist also vielmehr die zunehmende Bedeutung touristischer Produkte und Dienstleistungen bzw. die Veränderungen der touristischen Nachfrage, die den Campingtrend erklären, ohne den Einfluss der Medien in Abrede stellen zu wollen – gerade auch was den Einfluss der sozialen Netzwerke betrifft.

Camping hat sich im Lauf der Zeit stark verändert – Stichwort Glamping beispielsweise  

Tatsächlich hat sich Camping im Laufe der Zeit stark gewandelt, und das betrifft alle Formen des Campings – vom einfachen Zelt bis hin zum Luxus-Reisemobil im Wert eines Einfamilienhauses, oder mehrerer. Die verschiedenen Unterkunftsarten werden dabei sicherer, exklusiver und v. a. komfortabler.
Das Glamping, ein Kofferwort, zusammengesetzt aus den englischen Begriffen „glamorous“ und „camping“, ist eine luxuriöse Form des Campings. Es ist eine zunehmend beliebte und moderne Form des Campings, stellt allerdings in puncto Ausstattung und Annehmlichkeiten ein extremes Beispiel dar. So sind Glamping-Unterkünfte z. B. äußerst luxuriös ausgestatte Baumhäuser oder fest installierte, voll ausgestattete Zeltbauten, aber auch ungewöhnliche Unterkunftsformen wie z. B. ein Eisenbahnwaggon.

Wohnwagen aus "Bella Italia"
Wohnwagen aus "Bella Italia"

Denken Sie, dass der Trend anhalten wird oder muss man eher damit rechnen, dass die Menschen wieder das Fernweh packt?

Da halte ich es mit Mark Twain, der sinngemäß gesagt haben soll: Prognosen sind schwierig, vor allem, wenn sie die Zukunft betreffen. Aber im Ernst: Die aktuelle weltpolitische Lage und in diesem Zusammenhang u. a. die Fragen unserer Sicherheit und unseres Wohlstandes, die aus meiner Sicht leider immer noch unterschätzte Herausforderung des Klimawandels, der demographische Wandel und vieles mehr, all das zeigt doch, wie schwer es ist, Prognosen abzugeben.
So gehen z. B. die Neuzulassungen für Campingfahrzeuge in diesem Jahr wieder zurück, was allerdings nicht an der mangelnden Nachfrage, sondern an den Lieferengpässen aufgrund des Krieges in der Ukraine liegt.
Zudem schließen sich Fernweh und Camping nicht aus, man denke z. B. an die bei zahlreichen Deutschen beliebte Wohnmobil-Tour durch die USA oder Kanada.  


Veröffentlicht am 11. Juli 2022 im Bereich: Programm.
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